Kalkplattendach

Die einzigartige traditionelle Baukultur der Dachdeckung mit mehrfach geschichteten Kalkplatten geht auf die regionalen geologischen Gegebenheiten zurück: Nur im Altmühlgebiet, das sich über rund 2.000 km² von Monheim im Westen bis nach Kelheim im Osten und von der Donau im Süden bis über die Altmühl nach Norden erstreckt, gibt es dafür geeignete Plattenkalkvorkommen. Diese Gesteinsschichten waren vor 160 bis 140 Millionen Jahren als Ablagerungen eines ausgedehnten flachen Schelfmeerbeckens entstanden.

Kalkplatte mit Versteinerung aus dem Steinbruch in Zandt (Geschenk der Firma SoNat-Strobl GmbH & Co KG anlässlich der Einweihung des Stadels), 2023 (Foto: Thomas Feuerer)

Den hier ansässigen Menschen dienten sie über Jahrhunderte als naheliegender und damit kostengünstiger Baustoff. Der älteste Beleg für Steindächer im Altmühljura stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits aus dem 11. Jahrhundert. 2007 konnte bei archäologischen Grabungen im Bereich der Burg Dollnstein ein Kalkplattendach nachgewiesen werden, das spätestens um 1100 entstanden sein muss.

Verbreitung des Kalkplattendachs im Altmühlgebiet nach Heinrich Ullmann, 1919 (Quelle: Bayerischer Heimatschutz XVII/1919, Nr. 11-12, S. 2)
Verbreitung des Kalkplattendaches um 1800 nach Konrad Bedal, 1998 (Quelle: Bauernhäuser in Bayern, Bd. 1: Oberbayern, München 1998, S. 48)

Dank mehrerer einschlägiger Datierungen geht man heute davon aus, dass die flachgeneigten Kalkplattendächer bereits im 14. Jahrhundert verbreitet waren und sich dann spätestens im 18. und 19. Jahrhundert weitgehend gegen Strohdächer und andere Dachdeckungen durchgesetzt hatten. Dies dürfte wohl auch für die Gegend um Hemau zutreffen, wie eine Karte aus dem Jahr 1561 und vereinzelte Erwähnungen von Steindachdeckern in der lokalen historischen Überlieferung vermuten lassen.

Ausschnitt aus einer Karte des des Amtes Hemau von Jörg Knod, 1561. Anders als bei den umliegenden Ortschaften und abgesehen von den Kirchen und Schlössern sind die meisten der Dächer auf der Hochebene rund um Hemau grau eingefärbt (Quelle: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, pls 3682)

Bis nach dem Zweiten Weltkrieg war die Jurahochebene ab Pittmannsdorf also vom Grau der Legschieferdächer bestimmt. Erst mit dem einsetzenden Wirtschaftswunder und dem damit verbundenen Wunsch nach modernen, vermeintlich besseren und pflegeleichteren Alternativen sank die Zahl der Jurabauwerke rapide. Diese galten bald als ärmlich und nicht mehr zukunftsfähig. Schließlich taten die in den letzten Jahren enorm gestiegenen (Wieder-) Herstellungskosten für Kalkplattendächer ein Übriges. Während es um 1810 im Gebiet des heutigen Landkreises Regensburg insgesamt 1126 Legschieferdächer in 91 Orten gab, waren es 2010 nur mehr 61 Legschieferdächer in 23 Orten. Bis auf eine Ausnahme lagen alle diese Jurabauwerke im Gemeindegebiet der Stadt Hemau. 2023 gibt es jedoch nur mehr rund 50 davon, Tendenz weiter abnehmend.

Um dem drohenden Totalverlust der traditionellen Handwerkskunst des Steindachdeckens entgegen zu wirken, wurde 2018 „Der Erhalt der Jurahäuser – traditionelle Baukultur im Altmühljura“ in die Bayerische Liste des Immateriellen Kulturerbes und 2021 der „Erhalt der bauhandwerklichen Praxis der Jurahäuser im Altmühljura“ in die deutsche UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes – Gute Praxisbeispiele – aufgenommen.

Im Steinbruch in Zandt werden die Dachsteine bis heute weitestgehend in Handarbeit abgebaut, 2022 (Foto: Thomas Feuerer)
Die Werkzeuge für die passgenaue Zuarbeitung der polygonalen Kalkplatten vor Ort auf dem Dach: Zange und Hammer, 2023 (Foto: Thomas Feuerer)